Ein Lächeln glitt über Aelis‘ Lippen, als sie nach dem rubinfarbenen Spielstein griff, ihn einige Felder weiter schob – nur, um dann zu Tywin aufzublicken und ein Lachen kam über ihre Lippen. Ein Lachen, das in dieser Offenheit nur für ihn reserviert war, weil sie ihm vertraute, weil er ihr das Gefühl gab, dass sie ihm vertrauen konnte und er sie beschützen würde. Diese Wärme, die sie spürte, wenn er bei ihr war, ihr mit sanften Gesten zeigte, dass sie ihm wichtig war. Er war ihr nicht fremd, sondern so vertraut, seit so vielen Jahren schon. Zu gut erinnerte sie sich an diese Male, die er zu ihnen nach Hause gekommen war, sich zu ihr herabgebeugt hatte, da sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Ihr übers Haar gestrichen hatte oder ihr gesagt hatte, dass ihr Kleid schön war.
Damals, als sie noch gar nicht gewusst hatte, was das alles bedeutete, warum er da war. Warum er immer wieder kam, warum ihre Eltern alles daran setzten, für seine Besuche alles herzurichten. Als sie nicht einmal geahnt hatte, dass sie eines Tages hier wäre, dass sie darauf vorbereitet wurde, irgendwann die Frau an seiner Seite zu sein. Auch nicht, als die Lehrer gekommen waren, begonnen hatten, mit ihr zu lernen – Lesen, Schreiben, grundlegendes Rechnen, Konversation, aber auch das Erkennen der einzelnen Häuser der sieben Königslande, Etikette, Benehmen. Doch als er dann irgendwann vor fast fünf Sommern gekommen war, da war er alles andere als begeistert gewesen, das hatte sie bemerkt, als er sie angetroffen hatte. Gesehen hatte, wie sie zwei schwere Eimer mit Wasser hatte ins Haus tragen müssen. Und seine Fragen, sie hatte sie ehrlich beantwortet, was sie alles für ihre Eltern tun musste, wie sie sie unterstützen musste, sie hatte es nicht richtig verstanden. Als er gemeint hatte, dass sie auf ihr Zimmer gehen solle, dass er mit ihren Eltern sprechen müsse, da hatte sie es getan.
Noch am gleichen Abend war sie in eine Kutsche gestiegen und sie hatten den Weg hierher angetreten. Er hatte ihr erklärt, dass es Zeit wurde, dass sie langsam eine junge Lady wurde und in Kings Landing nun ihre Ausbildung fortsetzen würde. Der Gedanke dorthin zu reisen, er war beängstigend gewesen, doch es war schnell vergangen, als sie das erste Mal die Räume gesehen hatte, in denen sie seitdem lebte. Es lag vielleicht auch daran, dass die ihr zugeteilte Zofe ihr schnell zur Freundin geworden war, nur wenig älter war als sie selbst, sie zu allem begleitet hatte, soweit es möglich war.
Nur noch zwei Monde, dann wäre es so weit und sie wäre kein Kind mehr, sondern würde eine Dame sein – und die Frau des Königs. Und sie saß ihm hier gegenüber, nachdem sie bereits gemeinsam gespeist hatten, er ihr gesagt hatte, dass sie ein wenig Zeit haben würden. Und sie genoss diese raren Momente, in denen sie sich auch mal tagsüber länger sahen, zusammensaßen. Oder wie jetzt eines dieser Spiele spielten. Sie wusste nicht, dass es Strategiespiele waren, dass es eigentlich eine hohe Kunst war, diese zu beherrschen - und eine noch größere, Tywin Lennister darin zu schlagen. Nicht nur einmal, was sicherlich ein Zufall hätte sein können, nein, immer wieder – und das, obwohl sie sich darüber nicht so viele Gedanken machte. Es einfach nur spielte … So wie damals, als sie das Spielbrett zum ersten Mal gesehen hatte. Wenige Wochen nach ihrer Ankunft, da er sie zu sich gerufen hatte, in seine Räumlichkeiten. Sie hatte darauf gewiesen, hatte gefragt, was es war und sie hatte seinen Worten gelauscht, seiner Erklärung – und ihre Augen hatten geleuchtet, als er auf ihre Frage, ob er es ihr erklären konnte, genickt hatte. Ihr nach und nach die Spielsteine erklärt hatte, die verschiedenen Züge und Varianten. Es war so viel gewesen, doch sie hatte es aufgesogen, als gäbe es nichts anderes. Die ersten Spiele hatte er noch dirigiert, hatte ihr geraten, was sie tun sollte. Doch bereits nach wenigen Runden hatte sie es nicht mehr benötigt, hatte einfach gewusst, was zu tun war – und es war ihr leicht gefallen, es hatte ihr Spaß bereitet. Und sein Erstaunen, als sie das erste Mal den Zug gemacht hatte, dass keiner von ihnen mehr einen Zug gehabt hatte, es hatte sie verwundert. Doch als sie das erste Mal gewonnen hatte, da war sie so glücklich gewesen! So, wie auch in diesem Augenblick, es waren diese kleinen Dinge, die sie glücklich machten, die sie zufrieden machten. Doch es war nicht das Gewinnen, nein, es war sein Blick, mit dem er sie dann ansah, das Gefühl, das er damit in ihr auslöste. So wie in diesem Augenblick, da ihre schlanken Finger noch auf dem Stein ruhten. „Du sollst mich doch nicht gewinnen lassen!“ Sie lachte sanft und zog dann die Hand zurück, strich ein wenig verlegen ihren Rock glatt. Nicht, dass es notwendig war, sie war wie immer tadellos gekleidet, jeden Tag wollte sie ihm zeigen, dass sie seiner würdig war. Achtete auf das Bild, das sie abgab, darauf, dass ihre Kleider stets angemessen saßen, nicht zu viel zeigten und doch elegant und vorteilhaft waren. Dabei half auch ihre Zofe, die ihr ihre Haare machte, sie beriet. „Und du meinst, du hast nachher Zeit für einen Spaziergang in den Gärten?“ Sie genoss es, mit ihm draußen zu sein, sich bei ihm einzuhaken und an seiner Seite durch die wunderschön blühenden Gärten zu schreiten, ihm zuzuhören, wenn er ihr etwas erklärte. Dann konnte sie die Welt um sich herum vergessen – und die Aufregung, die sie bereits jetzt empfand, wenn sie nur daran dachte, dass sie bald seine Frau wäre, vor dem Angesicht der Götter ihm schwören würde, die Seine zu sein. Die Frau an der Seite des Königs wäre. „Ich freu mich!“, entgegnete sie dann jedoch, als er es ihr noch einmal bestätigte und ihre Augen strahlten noch mehr als sowieso schon.
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Der Rest des Tages war sodann von anderen Dingen gefüllt worden. Letzte Anpassungen und Maße für ihr Kleid waren genommen worden – jenes Kleid, mit dem sie auf ihn zutreten würde, in dem sie ihm den Schwur der Ewigkeit geben würde. Einen Schwur, den sie bereits als kleines Kind gelernt hatte, als Mädchen zu lieben gelernt hatte und in den vergangenen Jahren tief in sich aufgenommen hatte, es zu ihrem Lebensinhalt machen würde, wenn sie eine Frau wäre. Seine Frau. Vor den Göttern und der Welt. Die Stoffe, die ihr gezeigt worden waren, sie waren das reinste Wunder gewesen, von solcher Weichheit und mit wunderschön gearbeiteten Mustern, an denen sicherlich viele Frauen sehr lange gestickt hatten. Es war, wie fast alles, was sie hatte, seitdem sie nach Kings Landing gekommen war, wertvoll – und viel zu viel wert, da war sie sich sicher. So viele Sommer war sie mit einfachereren Sachen großgeworden, festeren Stoffen, die manchmal gar ein kratziges Gefühl hinterlassen hatten. Einfachen Leinen, die in der Nacht die Kälte der Winter ferngehalten hatten mit den Fellen. Doch hier, da war alles so viel feiner, so viel filigraner, eleganter und … wertvoller. Dabei war es noch nicht einmal der materielle Wert, der für Aelis eine Rolle spielte, nein, es war viel eher der Wert, dass es von Tywin kam. Dass er ihr diese Dinge gab, sich Gedanken machte, was sie brauchen konnte. Wenn sie daran dachte, wie sie ihm einmal gesagt hatte, dass sie dies nicht verdient hatte, er ihr gesagt hatte, dass sie alles verdient hatte, dass sie nur sagen sollte, was sie brauchte … Und doch hielt sie sich zurück, war bescheiden und umso mehr bedeutete ihr jedes einzelne Stück etwas.
So wie das Kleid, das sie in diesem Augenblick trug, das bereits seine Farben zeigte, ihre inzwischen entstandenen sanften Kurven betonte – das ihre schlanke Taille, ihre Brüste hervorhob. Deutlich machte, dass sie kein Kind mehr war, kein Mädchen, sondern bereit, bald zu heiraten. Und im Vergleich zu den vergangenen Sommern waren ihre Schritte wiegender, verrieten, dass sie erwachsen wurde – auch wenn das Kichern, das Talisha und sie in diesem Augenblick teilten, verriet, dass sie doch noch ein junges Mädchen war. Eine Seite, die sie nur jede sehen ließ, denen sie vertraute. Und sie hatte Tywins Worte für sich vereinnahmt, dass sie nur ihm vertrauen sollte, ihrer Zofe und Lyol – dass alle anderen ihres Vertrauens nicht würdig waren, dass sie vorsichtig sein sollte. Und sie glaubte ihm, wollte ihn auch nicht enttäuschen. Doch mit Talisha, da konnte sie tuscheln, plaudern und kichern, während sie einen Sonnenschirm so hielt, dass die Sonne ihr nicht direkt ins Gesicht schien. Lange würde es nicht mehr dauern, bis der Himmel sich langsam gelb und rot färben würde, alles in ein sanfteres Licht hüllen würde und Tywin zu ihr käme. Wenn Talisha sich zurückziehen würde, ihnen die Zweisamkeit geben würde – alleine wäre Aelis niemals hier draußen gewesen, nein, sie genoss die Gesellschaft, die Größe hier draußen hätte sie alleine geängstigt. Wenn die Schatten der Hecken und Skulpturen sich in der tiefstehenden Abendsonne verzerrten, schreckliche Bilder zeichneten. Ja, vielleicht verriet es doch sehr gut, dass sie doch noch ein Mädchen war, tief in sich drin geblieben war. Das, was in ihrem Blick zu sehen war, wenn sie Tywin so offenherzig anstrahlte, sich selbst über kleinste Augenblicke der Zweisamkeit freuend, über kleinste Gesten und Worte.
Und gerade kicherte sie über etwas, was Talisha berichtete, da Schritte auf sie beide zukamen – Schritte, die eindeutig nicht Tywin gehörten und auch nicht Lyol. Der Anblick des Mannes, der auf sie zukam, er war alles andere als erquicklich, als sie realisierte, dass es tatsächlich Petyr Baelish war, der auf sie zukam. Von allen, die sie nicht mochte, die sie lieber mied, die ihr unheimlich waren – was so ziemlich alle aus dem kleinen Rat einschloss und viele andere der Lords – ohne, dass sie es sich erklären konnte, war Lord Baelish der, den sie am wenigsten ertrug. Der ihr Gänsehaut bereitete, dafür sorgte, dass sie sich verunsichert und … klein fühlte. Und froh war, dass sie ihm meistens nur dann begegnete, wenn Tywin oder eine der Wachen dabei war. Wenn sie sich sicher fühlen konnte. Doch hier draußen, da waren nur Talisha und sie – und nun doch Lord Baelish. Und hatte sie für einen Augenblick noch gehofft, gar gebetet, dass er nur vorbeigehen würde, so hielt er doch an, in einem unangemessen geringen Abstand, wie sie fand. „Guten Abend, Aelis. Ein schöner Abend für einen Spaziergang! Noch schöner, nun, da ich dich sah.“ Die Stimme ließ einen Schauer über den Rücken laufen, selbst als der Mann höflich ihre Hand griff, sich verbeugte und einen Handkuss andeutete. „Guten Abend, Lord Baelish“, entgegnete sie nur und zog die Hand zurück, faltete die Hände vor dem Körper. Auch um zu verhindern, dass der Mann einfach wieder ihre Hand griff.
„Petyr, meine Liebe. Meine Freunde nennen mich Petyr.“ Dieses ekelhafte Grinsen, die Art, wie er sie anblickte – wäre es nicht zu offensichtlich gewesen, hätte es sie geschüttelt, doch sie unterdrückte den Drang. „Lord Baelish, es … ehrt mich, dass Ihr mich als Freund anseht. Doch es …“ Nein, tat es nicht, aber Konversation, Höflichkeit, Zurückhaltung – es waren die Dinge, die sie gelernt hatte. Die sie im Alltag lebte. „Komm, geh mit mir ein Stück. Wir könnten uns unterhalten, oder ich erzähl dir einige Geheimnisse über Kings Landing.“ Und die Art und Weise, wie er ihr den Arm hinhielt, damit sie sich unterhaken könnte … Sie trat einen Schritt zur Seite, brachte etwas mehr Abstand zwischen sich und ihn. Ein kurzer, fast schon hilfesuchender Blick zu Talisha, dass sie sie nicht alleine ließ, obwohl es normal war, dass die Zofen sich zurückzogen, wenn geredet wurde. Doch in diesem Augenblick wollte Aelis nicht alleine sein, sie wollte auch nicht mit diesem Mann reden! Auch, wenn sie es nicht zeigen durfte, so tun musste, als sei es genehm, als sei alles in Ordnung. Sie wollte Tywin nicht enttäuschen, wollte nicht, dass er dachte, dass seine Frau sich nicht zu benehmen wusste.
„Lord Baelish, es ist unangemessen, dass Ihr mir Euren Arm anbietet. Wohl wissend, dass ich dem König versprochen bin!“, brachte sie hervor, als er von seiner Geste nicht zurücktrat, sie erwartungsvoll anblickte. Und doch ließ er sich nicht beirren, als er noch etwas näher trat, sie dazu brachte, nach hinten auszuweichen und fast ein wenig zu stolpern. Ein Moment, den Petyr Baelish dazu brachte, nach ihr zu greifen, sie festzuhalten, damit sie nicht noch stürzte. „Meine Liebe, du missverstehst! Ich möchte dich nur davor bewahren, dass dir etwas zustößt oder du stürzt. Und noch bist du nicht verheiratet, es wäre also … angemessen …“ Sein Lächeln, es war schmierig und ein erneuter kurzer Blick glitt zu Talisha, die sich bereits umblickte, ob irgendwo eine Wache war, oder jemand, der vielleicht eingreifen würde. „Aelis, ich glaube, du hast ein falsches Bild meiner Intentionen.“ Seine Worte, sie machten es nicht besser und noch immer lag die Hand des Mannes an ihrem Arm, hielt sie fest – etwas, was ihr mehr als missfiel. „Ich … Lord Baelish, bitte, ich möchte nicht …“ Ihre Stimme zitterte – doch ihre Worte endeten abrupt, da eine andere Stimme erklang. Eine Stimme, die in ihr eine tiefe Ruhe auslösten, Erleichterung erfasste sie.